Die Liebe, hach!

 

Egal ob TV, You Tube, Instagram, Facebook,Twitter oder das Klassenzimmer: Die gute alte Provokation zielt immer häufiger nicht auf Widerstand oder Verweigerung, sondern auf Eskalation ab. Immer häufiger ziehen Menschen ihren Selbstwert aus der virtuellen Aufmerksamkeit, die sie generieren [1]. Das gewählte Medium spielt hierbei nur eine untergeordnete Rolle.

 

 

 

Je größer die Welle, umso weitgreifender der Hype. Je immenser der Hype, umso nachhaltiger die Aufmerksamkeit. Natürlich hat es das Phänomen schon immer gegeben, aber in Zeiten des medialen Überangebots nimmt dieses Verhalten neue Formen an.

 

 

 

In prä-social-media Zeiten brauchte es eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und persönlichen Einsatz, um sich zur besten Tageszeit in der Öffentlichkeit zu präsentieren. In den Händen ein Schild mit polarisierender Parole, auf den Lippen den Brustton der Überzeugung. All das, um eine Welle der Empörung auszulösen. Günstigenfalls geschah dies als statement für eine abweichende Gesinnung und zur Eröffnung einer sinnhaften Debatte.

 

 

 

Die Punkbewegung ist hierfür ein gutes Beispiel. Obwohl der ursprüngliche Denkansatz auch dort häufig verloren ging begann so eine neue Ära, mit ähnlichen Auswirkungen wie mit denen der Beatlesbewegung in den 1960ern. An Stammtischen und in Familien wurde offen gestritten, Meinung kundgetan und Stellung bezogen. Von Aug zu Aug. Mit den daraus resultierenden Konsequenzen für Position und Stellung der eigenen Person in der Gesellschaft.

 

 

 

Heutzutage wird auf dem Schlachtfeld der Eitelkeiten mit grausamerer Waffe gekämpft: dem anonymen Kommentar.

 

 

 

Die Szenarien sind schier endlos. Deshalb zur Verdeutlichung hier das Beispiel Twitter: Rund um die Uhr, für jeden Besitzer eines handelsüblichen Smartphones zugänglich, steht das WordWideWeb mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten zur Verfügung. Schon ein Zehnjähriger kann sich mittlerweile eine Email-Adresse und einen Twitter-Account anlegen.

 

 

 

Immer wieder werden Umfragen gestartet, wie viele user Twitter nicht mehr nutzen würden, wäre eine Anmeldung nur noch mit echtem Namen und Nachweis über die Richtigkeit der Daten die Bedingung. Da ca 60% der aktiver Nutzer den Anbieter wechseln würden bleibt Twitter anonym und bietet die perfekte Plattform zur Selbstdarstellung.

 

 

 

Stellt es sein Selbst dar, mit einem anonymisierten Account der Welt seine Anschauungen ohne Rücksicht auf Respekt und Diversität aufzuzwingen?

 

 

 

Mit steigender Tendenz wird das sogenannte PoMo-Twitter beklagt. Der Ausdruck steht für „postmodern“ und hat sich aus „linken Strömungen“ etabliert, die primär vom Poststrukturalismus beeinflusst sind [4]. Es handelt sich um eine radikale Interessent*innengruppe, die aus der linken, meist queerfeministischen Ecke kommt.

 

 

 

Links“, obwohl die Zuordnung zur realen, politischen Landschaft hinkt. Schon zu Zeiten der Geburten von Beatlemania und Punk glaubten Leute, sie hätten u.a. Mouffe, Butler, Foucault, Nietzsche und Marx gelesen (weil diese als indirekte Quellen aus dem Kontext gezerrt in einem Paper standen) und Einiges richtig verstanden – und die sich darauf sonstwas alles einbilden [2]. Hier geht es meist um Leute, die, Zitat [2]: „etwas aus gar nicht mehr so aktuellen Debatten der Sozialphilosopie, exzerpiert und zwei oder drei Mal aufgegossen, vorgesetzt bekommen haben – und das als ihre persönliche Erleuchtung empfinden... und es irgendwann aufgegeben haben, mit anderen Leuten wie mit normalen Menschen zu sprechen oder überhaupt sowas wie Argumente zu benutzen.

 

 

 

Alle Standpunkte sind im Kern unterstützenswert (Antirassismus, Rechte von LGBT) [LesbianGayBisexualTransgender] aber auf jeden wird direkt aus allen Rohren gefeuert, der in irgendeiner Art und Weise widerspricht, auch wenn es nur eingebildet ist.“ Zitat Ende.

 

 

 

PoMo-Twittern ist ein weiterentwickeltes Konzept, vor dem seit Jahren gewarnt wird. Es ist inhärent schlüssig, so daß Gegenargumente zu Schubladendenken führen.

 

 

 

Thema                                                   Schublade

 

PoC [person of color / farbig]                       Rassist

 

trans                                                         transphob

 

Beschneidungsdebatte                                Nazi, Antisemit

 

Migration                                                   Hass, Menschenfeind

 

§218StGB                                                 unterwertiger Diskussions- teilnehmer als Mann

 

Aversion gegen Merkel, links/grün

u. Kritik am Islam                                        Dreifach-Aversiver [3]

 

Dummheit                                                 Angriff wegen Marginalisierung (mangelnde                                                                              Intelligenz)

 

 

 

Zur Erläuterung – Zitat [4]: „Zentral dabei ist die Vorstellung der sozialen Konstruktion durch Sprachakte und Vorstellungen von Identität. Diese Identität ist hochgradig schützenswert. Es besteht die Annahme, dass Realität durch Sprache „konstruiert“ ist.

 

Wenn ein diskriminierendes Wort benutzt wird entsteht dann Diskriminierung. Wurzel der Diskriminierung ist Benutzen der Vokabel. Tilgen der Vokabel tilgt folglich Diskriminierung aus der Welt.

 

 

 

Es wird von schützenswerten Identitäten ausgegangen

 

Beispiel PoC [person of color – Farbige] : diese Gruppen haben das Recht, alleinig (!) für sich selbst zu sprechen. Andere priviligierte Gruppen haben kein Recht, für diese Gruppen zu sprechen oder auch nur darüber zu diskutieren.

 

(...)

 

Widerspricht man dem, zerstört man auf eine gewisse Art die Existenz des Entsprechenden, weil es ist ja alles sozial konstruiert. Die Identität ist irgendwie der Kern des Menschen. Wenn man sie ihm abspricht, negiert mann seine Existenz.

 

Das führt zu bizarren Streits.

 

 

 

Das erklärt die enorme Motivation dieser Gruppe, auf das Sprachverhalten der Menschen Einfluss zu nehmen und die Ignoranz für reale Dinge wie zB Arbeit antifaschistischen Initiativen. Weil – der wirkliche Grund für die Faschisten ist ja die Sprache.“ Zitat Ende

 

 

 

Ungeahnte Ausmaße nehmen die Verstöße der Net-ikette beim Thema Defma-Konzept [Definitionsmachtkonzept] an. Hier wird diskutiert, ob nur das Opfer beurteilen kann, ob/ab wann es sich um eine übergriffige Tätigkeit seines Gegenübers handelt. Auch diese hochemotional geführte Debatte ist in der Argumentationskette der PoMo-Bubble schlüssig, was in der Szene ein Gegenanreden unmöglich macht, ohne dass es zu argumentfreiem Diffamieren führt wenn man der Position des anderen nicht auf der Stelle zustimmt [5].

 

 

 

Propagiert wird die gelebte moralische Überlegenheit. Handelt es sich nicht tatsächlich um gelebtes Mobbing? Das Produzieren einer fiktiven Moral? Verwirklichung durch den virtuellen Gutmensch-Avatar?

 

 

 

Mit seinem „fave“ bekundet der geneigte tweet-Leser seine Zustimmung mit einem Klick auf ein stilisiertes Herz, das dann zur Bestätigung rot wird. Also mit Leben erfüllt. Also wahr? Je größer die Anzahl der faves, umso höher die Wertigkeit der Aussage bei den Mitgliedern der timeline des Autors. Mit einem „retweet“ sendet der Leser den Text des Autors per Schneeballsystem auch an die Menschen, die seinen eigenen Ausführungen folgen möchten. Seinen sogenannten „followern“. Folgern? Folgenden? Gefolgsleuten? Günstigenfalls erreicht ein tweet so jedenfalls in kürzester Zeit zehntausende von Lesern. Die entweder faven, kommentieren und/oder retweeten. Usw usw

 

 

 

Mit immer absurderen Beiträgen wird die Bestätigung der eigenen Meinung gesucht. Mit Klauen und Zähnen wortgeklaubt, getilgt, missverstanden und ge- und verurteilt. Denn das Problem mit dem schaffen von Problemen ist hier, dass die followerschaft abstumpft.

 

 

 

Aus dem Skandaljournalismus ist bekannt, dass immer Neues mit immer krasseren Methoden kritisiert werden muss, um noch Interesse zu wecken. Es gilt, Empörung zu generieren, die

Zitat[1]:“Meute direkt zum Ziel [zu] ködern.“ Zitat Ende. Dann kann die Selbstdarstellung beginnen, eine neue Welle der Zustimmung genossen und Zugehörigkeit zelebriert werden.

 

 

 

Virtuell.

 

Anonym.

 

Restriktionslos.

 

Konsequenzlos.

 

 

 

Die PoMo-Bubble wird als derzeit toxischste große Bubble auf Twitter eingeschätzt [6]. Für viele Nutzer hat der Internetauftritt mittlerweile die gleiche Wertigkeit wie ihr wahres Leben. Konflikte eskalieren auf Twitter [7] bis hin zum Doxing, was das Veröffentlichen von Privatinformationen, Drohanrufe und Erpressungen umschreibt [8]. Twitterer zerbrechen mental an den Kommentaren und Beschimpfungen ihrer follower oder der follower ihrer follower, die über retweets in ihre timeline gespült wurden. Accounts werden privat geschaltet, um sich vor Anfeindungen zu schützen [9]. Menschen sind geschockt, erleiden Zusammenbrüche, entwickeln Ängste und Phobien, zweifeln an sich, der Welt, der Menschheit [8].

 

 

 

Egal ob die Währung nun faves (Twitter) oder likes (facebook) heißt – könnte der seelische Bankrott verhindert werden? Würde die Abgrenzung zur Menschlichkeit gelingen?

 

 

 

Nun, am Ende des Tages wird die Zeit das beweisen müssen. Derweil lade ich Sie zu einem Gedankenspiel zum Thema Sehnsucht ein:

 

 

 

More Likes = More Love?

 

 

 

Genug nun für heute. Wenn Sie mögen, treffen wir uns auf Twitter: @HartmannCoach

 

 

 

 

 

 

Quellennachweis

 

[1] @pfuideifipegida 02.05.18

 

[2] @AnorakAusFFM 21.8.18

 

[3] @robin_urban 22.07.18

 

[4] @mundpilz 30.04.18

 

[5] @Steffen_Wasmund 22.07.18

 

[6] @evaception 01.12.19

 

[7] Friedrich Glasl - Phasenmodell der Eskalation 1980

 

[8] @Chris_Zwitscher 24.01.20

 

[9] @herzmolekuel 26.01.20

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0